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Stettin 1993 bis 1996

Überholung in Stettin

Die Überholung der Carioca sollte bis zum Frühjahr 1994 abgeschlossen sein. Vielleicht hatten wir uns aber zu viel vorgenommen. Statt nur das Teakdeck sollte das gesamte Holz an Deck, der Motor samt Wellenanlage, die Tanks, die gesamte Elektrik und Installation erneuert werden. Während die Holzarbeiten unter der Obhut von Jurek gut vorankamen - unter anderem baute er uns eine bildschöne Teak-Steuersäule nach meinem Entwurf - gab es Probleme mit den outgesourcten Gewerken. So ging das ganze Jahr 1994 dahin und auch 1995 gelang es uns nicht, die inzwischen weitgehend zerlegte Carioca fertig zu bekommen, obwohl wir unzählige Male nach Stettin fuhren und unseren ganzen Urlaub auf der Werft verbrachten, um die Sache voranzubringen. Ein deutscher Skipper fragte sogar, ob wir den richtigen Auftrag gegeben hatten: Abwracken statt Renovieren?

Zur Grenze und zurück

Stettin – deutsche Grenze im Haff – Stettin. 7. September 1995, 49 sm

Im Herbst 1995 wurde es dann dramatisch, weil die Carioca nach zwei Jahren unbedingt aus polnischen Gewässern auslaufen musste. Wir hätten sie sonst voll verzollen müssen. Wir mussten dazu die Oder herunter, ausklarieren, über das kleine Stettiner Haff um die deutsche Grenztonne herum und wieder in Polen einklarieren, ein Törn von knapp 50 Meilen. Jurek sah das nicht ein und wollte uns nicht fahren lassen, weil er fürchtete, wir würden nicht zurückkommen, obwohl keine Zahlungen ausstanden. Der Motor war zwar drin, aber nicht probegelaufen und die halbe Inneneinrichtung lag auf der Werft. Es kam fast zu Handgreiflichkeiten.  Jurek ging so weit, dass er uns den Motorschlüssel wegnahm, woraufhin Julia geistesgegenwärtig seine Werkstatt abschloss und den Schlüssel an sich nahm. Nach hartnäckigen Verhandlungen über den sehr geduldigen Roman, einen Dozenten an der Stettiner Universität, der für uns dolmetschte, beschwichtigte und in unserem Namen fest versprach, dass wir zurückzukommen würden, tauschten wir feierlich die Schlüssel wieder gegeneinander aus. Dennoch verstauten wir alle losen Carioca – Teile im Schiff.

Inzwischen war es 13 Uhr geworden, recht spät für einen 50-Meilen-Törn mit mehreren Grenzkontrollen und einem unerprobten Schiff auf einem navigatorisch schwierigen Revier wie Oder und Haff. Natürlich blieb der Motor mitten auf der Oder stehen: Luft in der Einspritzung. Wir hatten jedoch sicherheitshalber zwei Motormechaniker, den Elektriker und Roman als Dolmetscher sowie, unvermeidlich, um diese Leute bei Laune zu halten, einen Kasten Bier und eine Flasche Wodka dabei. Die waren aber schon alle, als wir nach zwei Stunden zum Ausklarieren das ehemalige Ziegenort, heute Trzebiez, erreichten. Also wurden während der langwierigen Ausklarierungs-Formalitäten reichlich Alkoholika „nachgetankt“. Danach liefen wir über das Haff, die endlos langen Fischzäune umgehend, zum an der Grenze liegenden polnischen Patrouillenboot, das uns ganz formvollendet mit dem Flaggen- und Schall­signal „L“ (kurz-lang-kurz-kurz) zu sich beorderte, dann um die deutsche Tonne „Haff“ herum und gleich wieder zurück zu den Polen, wieder nach Ziegenort zum Einklarieren. Inzwischen war es natürlich schon dunkel und die Crew sehr lustig! Das Fahrwasser die Oder hinauf wäre schon am Tage verwirrend, aber der Elektriker Richard steuerte die Carioca auch im Vollsuff sicher zurück zum Interster. Er fiel zwar einmal krachend ins Cockpit, dass ich dachte, er hätte sich das Genick gebrochen, hatte aber nicht nur das Glück der Trunkenen, sondern auch das Revier und Schiff so sicher im Griff, dass ich mich auf eine bloße Kontrolle der Navigation beschränken konnte. Um 23:30 waren wir zurück. Das war der einzige Törn 1995!

Rund Usedom

Stettin – Ückermünde - Peenestrom –Wolgast – Greifswald – Ruden – Swinemünde – Stettin.

19. – 23. Mai 1996; 5 Törns, 168 sm.  Crew: Julia, Joachim, Bodo

1996 wollten wir nun aber endlich mal wieder segeln. Mit der halbfertigen Carioca (z.B. war ein Kajütfenster samt Rahmen verschwunden und nur mit Tape zugeklebt), machten wir einen Probetörn um Usedom herum. Zwei Winschen vom Mast, ein Anker und, was mich besonders ärgerte, unser kleiner Honda-Viertakt-Generator waren vom Schiff verschwunden. Bezeichnend scheint mir das polnische Wort für „Schiffseigner“ zu sein: „Armator“, was man klanglich auch als „armer Tor“ verstehen kann!.

Das Haff, der Peenestrom und der Greifswalder Bodden sind schon ganz besondere Reviere. Eindrucksvoll auch ein Besuch des Peenemünder V2-Versuchsgeländes und der unbewohnten Insel Ruden. Das Stettiner Haff sieht, wenn man die Karte betrachtet, sehr friedlich und geschützt aus, hat aber seine Tücken. Durchgehend nur zwischen 3 und 5 m tief, gibt es nur eine gebaggerte Fahrrinne für die Großschifffahrt, die einen Kanal zwischen Usedom und Wollin, die "Kaiserfahrt", mit der Oder verbindet. Sie ist mit einer Reihe von auch aus der deutschen Kaiserzeit stammenden großartigen Leuchttürmen gekennzeichnet, die jetzt auf polnisch „Brama Torowa“ heißen. Wenn man nicht Tonnenstrich laufen will, weil man von Osten kommend wegen des vorherrschenden Westwindes kreuzen muss, dann hat man große Probleme mit den bereits erwähnten Fischzäunen. Sie sind kilometerlang, oft schon zerfallen, aber mit den relativ dicht eingesteckten Pfählen unpassierbar. Da sie sich teilweise auch überlappen, ist es schwierig, zwischen dem Ende des einen und dem Anfang des nächsten eine passierbare Lücke zu finden. An sich sollten die Enden mit Markierungen versehen sein, die aber häufig fehlen. Teilweise sind sie durch auf den letzten Pfahl gesteckte Gummistiefel ersetzt! Das unangenehmste ist aber die kurze, steile Welle, in der sich das Boot feststampfen kann. Es war Julias Geburtstag, als wir, von Ückermünde kommend, bei WNW 5 und strömendem Regen gegenan kreuzten. Eine schönes Geburtstagsgeschenk! Das legte die Wurzeln für ihre Abneigung gegen das Ostsee-Segeln. Dagegen ist der Peenestrom, das Fahrwasser zwischen dem Festland und Usedom, recht angenehm zu befahren. Zwar fährt man fast immer Tonnenstrich, aber es ist abwechslungsreich und man kann bei Westwind fast durchgehend mit halbem Wind laufen.

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